Tintenfischpilz – Clathrus archeri

Tintenfisch Clathrus archeri
© Fotos Tanja Major
Tintenfisch Clathrus archeri

Australians in Europe

Text von Dr. Matthias von Antropoff    Rotten-Trees

Never ever breathe. Am Ende des Liedes von The Fall heißt es: "Australians in Europe/Wake up und suss the Scene./You'd better leave them parents, and try Hamburg to Berlin./Your just a bloody Twister, so who do you think your foolin. Austalians in Europe" Wie nicht anders zu erwarten, stammen die eben zitierten Zeilen aus dem Lied "Australians in Europe" aus dem Jahre 1993. Ich weiß nicht, ob Mark E. Smith, der Sänger von The Fall, den Tintenfischpilz - Clathrus archeri - gekannt hat; wenn man sich die Liedzeilen jedoch etwas genauer anschaut, muss man zu diesem Schluss kommen. Zuerst einmal ist der Tintenfischpilz tatsächlich ein Australier in Europa. Man geht davon aus, dass er durch Wollimporte eingeschleppt worden ist. 1913 wurde er das erste Mal in den Vogesen nachgewiesen, 1934 dann in Deutschland - im Schwarzwald. Mittlerweile hat er sich in Mitteleuropa fest etabliert und gilt als nicht invasiver Neophyt, was bedeutet, dass er anderen Arten in seiner Umgebung nicht schadet, was auch nicht verwundert, da er saprobiontisch von organischem Material im (in den meisten Fällen) Wald lebt. Nunja, aber wer weiß - vielleicht fechten seine Myzelien erbitterte Kämpfe mit denen des Steinpilzes aus, und schaut man sich unseren Tintenfischpilz einmal genauer an, dann wird man mit Schrecken konstatieren müssen, dass er wohl als Gewinner den Waldboden verlässt.
 In Deutschland ist er flächendeckend verbreitet; ich kenne ihn jedoch nur aus einem meiner Sammelgebiete, das sich im Knechtstedener Wald in der Nähe von Dormagen befindet. Wenn Clathrus archeri sich weiter in solch einem Tempo ausbreiten sollte, dann werden wir in 50 Jahren nicht mehr vor die Tür gehen können, ohne über ihn zu stolpern. Man versteht nun die Zeile des Liedes "Australians in Europe never ever breathe". Wie auch? Sind sie doch von früh bis spät damit beschäftigt ihre Sporen zu verbreiten und deutsche Wälder abzubauen. Ja, sie kundschaften die Szene wahrlich aus, nachdem sie ihre Eltern verlassen haben und nun nicht nur zwischen Hamburg und Berlin ihre Tentakel drohend auf dem Boden ausbreiten. Doch was meint Mark E. Smith mit "Your just a bloody Twister, so who do you think your fooling"? Ganz klar: Mich  bzw. die Menschen, die ihm zu nahe gekommen sind. Doch keine Angst! Der wie eine Röhre aussehende Stamm des Receptaculums wird euch nicht in seinen Schlund ziehen und mit ätzenden Stoffen zersetzen. Hoffen wir mal, dass in Zukunft auftretende Mutationen diese Fähigkeit nicht ausbilden. (Receptaculum bezeichnet übrigens den Träger der Gleba. Hä wat? Die Gleba ist die dunkle fleckenartige und schleimige Masse, die man auf den Tentakeln sehen kann. In ihr werden die Sporen gebildet.)
Nein, der Tintenfischpilz ist ein verfluchter Betrüger, der einen im wahrsten Sinne des Wortes verarscht. Ja - im wahrsten Sinne des Wortes - der von mir benutzte vulgärsprachliche Ausdruck muss wortwörtlich genommen werden. Als ich daranging, die Tentakel für die Fotos etwas in Form zu biegen, brachen sie sehr leicht ab, so dass ich die Bruchstellen etwas kaschieren musste. Bei dem Pilz auf dem oberen linken und unteren rechten Foto ( Website Rotten Trees, nicht hier ) ist das untere Tentakel gebrochen, was jetzt aber ein eigentlich unnötiger und langweiliger retardierender Moment ist. Das Entscheidende ist, dass ich den Tintenfischpilz mit meinen Fingern berührt habe. Das Grauen, das Grauen, das Grauen - treffender kann Joseph Conrad nicht zitiert werden. Wie die Stinkmorcher verströmt Clathrus archeri einen Gestank nach Aas und dem liegt dieselbe Ausbreitungsstrategie zugrunde. Fliegen und sonstige Kadaver fressende Insekten werden angelockt, die die Gleba samt Sporen fressen und somit dem Tintenfischpilz zu seiner weiteren Verbreitung verhelfen. 
Tja, und ich beging den Fehler, die Tentakel zu berühren. Den ganzen Tag verließ mich der Gestank nach Aas nicht mehr. Ich kann von Glück sagen, dass der Knechtstedener Wald nicht von Bären und Geiern bevölkert ist - lebend wäre ich bestimmt nicht mehr herausgekommen. Man wächst jedoch mit seinen Leiden. Ich muss zugeben, dass am Ende des Tages der Aasgeruch ein leichtes perverses Wohlgefühl in mir entstehen ließ.
Oh man, "who do you think your fooling".
 Zuletzt sei noch angefügt, dass völlig ungewollt nun auch die Homepage "Rotten Trees" an konzeptueller Durchdachtheit hinzugewinnt. Stinkmorchel und Tintenfischpilz in unmittelbarer virtueller Raumnachbarschaft - ein Clou sondergleichen, gehören doch beide Pilze ein und derselben Familie an: der der Stinkmorchelverwandten - Phallaceae. So könnte man im Zusammenhang mit unserem neophytischen Australier auch von einer Familienzusammenführung sprechen. Doch davon will die Stinkmorchel wahrscheinlich nichts wissen:

"Australians in Europe never ever breathe".
Tintenfischpilz- Clathrus archeri
© Fotos Tanja Major
Tintenfischpilz- Clathrus archeri
2 comments
  1. er hat es mittlerweile bis u.a. in die zillertaler alpen geschafft. dort, in hochfuegen, waren wir ihm das erste mal ueber den weg gelaufen / haben wir uns das erste mal gerochen…

    1. Danke für die Info Stanley Haze. Hast Du auch Fotos gemacht? Der Geruch kann unerträglich sein, besonders wenn man Studiofotos macht ;-))
      Eigentlich müsste ich mal testen, ob sich die Farbe irgendwie verwenden lässt.Es gibt immer was zu forschen 😉

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